Es war einmal ein kleines Dorf namens Weyer, das hoch auf einem steilen Felsen-Plateau lag. Über diesem Dorf strahlte der Mond in klaren Nächten, und weit unten im Tal funkelten die Lichter der Mühlen wie kleine Sterne. In diesem Dorf war ein mutiger, junger französischer Offizier namens Jean Dupont stationiert. Er war tapfer und gutherzig und hatte sich unsterblich in eine wunderschöne junge Frau aus dem Nachbardorf Dreimühlen verliebt. Ihr Name war Clara, doch er nannte sie immer liebevoll „Claire“.
Jean und Clara trafen sich heimlich, denn ihre Liebe musste geheim bleiben. Doch Clara hatte auch einen anderen Verehrer, einen eifersüchtigen Mann, der sich immer wieder in den Schatten versteckte, um zu beobachten, was sie taten. Eines Abends, als der Himmel bereits dunkel und geheimnisvoll war und nur ein schwacher Mond über dem Plateau schimmerte, verabschiedete sich Jean von seiner geliebten Clara. Sie hatte ihn in Weyer besucht, und nun wollte er zurück zu seinen Kameraden reiten.
Doch gerade als er auf sein Pferd stieg und sich von Clara verabschiedete, sprang plötzlich der eifersüchtige Verehrer aus dem Dunkeln. Er stürzte sich mit wildem Zorn auf Jean, und sofort entbrannte ein heftiger Kampf. Jean wusste, dass er fliehen musste, um Clara zu beschützen, also schwang er sich schnell auf sein Pferd und galoppierte los. Doch der Rivale war ein genauso guter Reiter und jagte ihm nach.
Die beiden ritten schnell über die weite Heide, durch die Nacht, immer weiter. Ihr Weg führte sie in Richtung der Mühlen des Tals, deren Lichter wie kleine Glühwürmchen in der Dunkelheit leuchteten. Jean, der das Licht einer besonders hellen Laterne der obersten Mühle erblickte, dachte sich: „Dort muss ich langreiten, dort finde ich den Weg!“ Doch er sah nicht den gefährlichen Abgrund, der sich plötzlich vor ihm auftat. Der steile Felsen war im Dunkeln unsichtbar.
In dem Moment, als er erneut versuchte, dem Verfolger zu entkommen, rutschte das Pferd von Jean aus. Mit einem erschreckenden Ruck stürzten beide, Jean und das Pferd, in die Tiefe. Sie fielen und fielen, bis sie auf den scharfen Felsen landeten, und alles wurde still.
Die Dorfbewohner erzählten sich viele Geschichten über den französischen Offizier und seinen tragischen Sturz. Manche sagten, es sei ein großer Kampf um die Liebe gewesen, andere glaubten, der Abgrund habe sich im Dunkeln vor ihm versteckt. Doch eines wussten alle: Diese Geschichte war eines der traurigen Kapitel in der Geschichte der Kakushöhle.
Seitdem erinnern sich die Dorfbewohner immer wieder an den französischen Offizier und seine Claire, die tapfere Liebe und die Erinnerung an die dunkle Nacht, die über Weyer zog, bleibt für immer in den Herzen der Menschen. Denn wahre Liebe, so erzählen die Dorfbewohner ihren Kindern, braucht immer auch Weisheit und Achtsamkeit, damit sie sicher und glücklich in die Zukunft reiten kann.
Neuerzählung von Ingo Keller: Weyer – Das Weyerer Märchenbuch (8/9), 2025
Quellenangaben:
Der Sturz des Reiters aus: Sagen der Kakushöhle von Sophie Lange
Die Sagen um die Kakushöhle - aus Montjoie'r Volksblatt vom 23.7.1887