In den Tagen, als Götter und Riesen noch durch das Land wandelten und die Menschen Geschichten am Lagerfeuer flüsterten, lebte im Feybachtal ein mächtiger Riese namens Kakus. Er war kein Ungeheuer, doch seine schiere Größe und seine gewaltige Höhle flößten den Menschen Furcht ein. Alle, die durch das Tal reisten, mussten ihm Tribut zollen. So lebte Kakus in stolzer Einsamkeit, fernab von den Menschen, die ihn fürchteten.
In der zweiten Höhle, gleich neben Kakus' Unterschlupf, lebte ein Jäger mit seiner Tochter Fey. Sie war eine Erscheinung von sanfter Schönheit und großem Herzen, bekannt für ihre Güte gegenüber Mensch und Tier. Doch auch sie wusste, dass das Leben in der Nähe des Riesen ein gefährliches Spiel war.
Fern im Osten wuchs zur gleichen Zeit der Sohn der Göttin Jola heran. Hermules war ein Mann von außergewöhnlicher Stärke, ein Abenteurer, der sich mit seinen Taten Ruhm erkämpfte. Doch in all seinen Reisen hatte er nie eine Frau gefunden, die sein Herz berührte.
Als er eines Nachts seine Mutter bat, die Sterne nach seiner Bestimmung zu befragen, zeigte ihm Jola eine Vision: "Die Schönste aller Frauen lebt dort, wo der Vater Rhein fließt – im Feybachtal."
Hermules machte sich sofort auf den Weg. Er hörte von der schönen Fey und dem gewaltigen Riesen, der sie beschützte. Doch diese Geschichten machten ihn nicht unsicher – sie entfachten nur seinen Ehrgeiz.
Als Hermules das Feybachtal erreichte, forderte er Kakus zum Kampf heraus. "Ich bin gekommen, um die Schönste der Frauen zu holen!" rief er. "Wenn du sie nicht herausgibst, wirst du das Schwert meiner Stärke spüren."
Kakus, der die Drohung hörte, wusste, dass ein Kampf unvermeidlich war. Mit Keule und Speer bewaffnet, stellte er sich Hermules auf der Felsenplatte entgegen. Der Kampf, der folgte, war gewaltig. Stundenlang tobten die Giganten gegeneinander, ihre Hiebe hallten durch das Tal und ließen selbst die Steine erbeben.
Fey, die in der Höhle Zuflucht gesucht hatte, konnte das Blutvergießen nicht länger ertragen. Sie stürzte hinaus und warf sich zwischen die Kämpfenden. "Hört auf! Ihr zerstört das Land, das wir lieben!" flehte sie. "Ist es das wert, Leben zu nehmen für Stolz oder Verlangen?" Doch in diesem Moment, als Hermules erneut sein Schwert hob, geschah das Unfassbare: Fey stürzte sich mutig zwischen die Kämpfenden, um sie zu stoppen. Die Klinge, die Kakus treffen sollte, durchbohrte Fey, der tödliche Hieb traf auch den Riesen, und beide stürzten leblos zu Boden.
Hermules, erschüttert von seiner Tat, ließ sein Schwert fallen. Verwundet und voller Schuld verließ er das Tal, um nie wiederzukehren. Auf dem Rückweg brach er unter der Last seiner Wunden zusammen und starb auf einem Felsen über Weyer, der heute als Hermesberg bekannt ist.
Doch die Tragödie des Feybachs war nicht das Ende des Tals.
Die Göttin Helic, die tief in der Kakushöhle wohnte und über das Gleichgewicht der Natur wachte, hatte die Reinheit und Güte von Fey erkannt und beschloss, sie zu einer höheren Macht zu erheben. So verwandelte Helic die Seele von Fey mit ihrem heiligen Quellwasser in eine Fee, die fortan über das Feybachtal wachen sollte. Ihre Aufgabe war es, das Land zu beschützen, das sie geliebt hatte, und das Wasser des Feybachs rein zu halten.
Und auch Kakus, der nicht aus bösem Herzen gehandelt hatte, sollte nicht vergessen werden. In Anerkennung seiner Rolle als Beschützer des Tals verwandelte Helic seine Seele in zwei mächtige Bären. Diese Bären, die so stark und weise wie der Riese selbst waren, behielten das Land und seine Schätze unter ihrem Schutz. Sie patrouillierten über die Wälder und Hügel des Tals und stellten sicher, dass das Land weiterhin in Frieden blühte.
Fey, nun eine Fee, sorgte dafür, dass der Feybach niemals versiegte. Ihr sanfter Einfluss ließ die Pflanzen blühen und das Tal in einem stetigen Fluss der Erneuerung leben. Die Bären, die Kakus' Erbe trugen, bewachten die Schätze des Landes und hielten drohende Gefahren fern. Niemand wagte es, das Feybachtal zu stören, und die Menschen, die in seiner Nähe lebten, wussten, dass sie unter dem Schutz der Fee und der Bären sicher waren.
So erzählte man sich in den Dörfern am Rand des Feybachs, dass die Fee und die zwei Bären niemals wirklich verschwunden seien. Ihr Schutz war immer noch präsent, in den sanften Wellen des Bachs, in den grünen Wäldern und in den stillen Hügeln. Und wer in den Nächten dem Fluss lauschte, konnte manchmal das leise Rascheln der Bären und das sanfte Rauschen der Quelle hören, als wäre das Land immer noch von den Kräften der Natur bewacht.
Die Göttin Helic, die über die Entstehung und das Schicksal von Fey und Kakus wachte, hatte ihre Entscheidung nicht bereut. Fey, die in ihrem Leben die Güte und den Mut besaß, ihr eigenes Leben zu opfern, hatte sich zu einer Schutzpatronin der Erde verwandelt – eine Fee, die für immer über das Land wachte.
Neuerzählung von Ingo Keller: Weyer – Das Weyerer Märchenbuch (9/9), 2025
Quellenangaben:
Das Reich der Juffer Fey von Sophie Lange aus: Sagen der Kakushöhle
Jäger, Feytaljuffer, franz. Ritter von J. H. in: Die Eifel und ihre Nachbargebiete, 28. August 1904